Ja zur Fähre – Nein zur Brücke
Wir erleben seit geraumer Zeit Versuche, die Verkehrswende auszubremsen. Dabei werden der Autoverkehr systemisch begünstigt und der Ausbau der Bahn und des öffentlichen Verkehrs in der Region behindert. So betreibt auch der Landkreis Lüneburg die Rückwärtsbewegung. In der dünn besiedelten Region der Gemeinden Amt Neuhaus und Neu Darchau im UNESCO-Biosphärenreservat will er den Bau einer 100 Millionen Euro teuren Straßenbrücke über die Elbe in einem erneuerten Versuch durchsetzen.
Schon vor zehn Jahren stand der Betonbau ohne Not und völlig faktenfrei auf der kommunalpolitischen Tagesordnung. Mit Unterstützung der heimischen Bevölkerung konnte die Bürgerinitiative Ja zur Fähre – Nein zur Brücke den in Beton gegossenen Größenwahn kommunaler Kirchturmpolitik durch Gerichtsurteil stoppen. Jetzt soll dieses rückwärtsgewandte Vorhaben, als ein rein kommunales Projekt verniedlicht, wiederbelebt werden. Dazu hat der Landkreis Lüneburg kürzlich die Planungsunterlagen für den Antrag auf Baugenehmigung veröffentlicht. Widerstand und Einwendungen dagegen formieren sich erneut und sind bereits auf dem Weg.
Zeitfenster hilft Befürwortern
Unter Federführung von Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) strebt das Land Niedersachsen zwar die Streichung dieses Auto-Projekts aus dem Landesraumordnungsprogramm (LROP) an. Bis das Verfahren aber abgeschlossen sein wird, könnte Jens Böther, CDU-Landrat des Landkreises Lüneburg, dass Betonbauwerk im Naturraum mit internationalem Schutzstatus noch auf die Schnelle durchsetzen. Noch im Juni 2015 entfernte der Landkreis Lüneburg aufgrund von Unfinanzierbarkeit die Brücke aus der Raumplanung. Hingegen ist sie in aktueller regionaler Raumplanung wieder und nunmehr als ein rein kommunales Vorhaben enthalten. Ähnlich wechselhaft ist der Verlauf auf Ebene der Landesraumplanung.
Seit Anfang der Neunziger und mit Rückführung des Amtes Neuhaus von Mecklenburg-Vorpommern in den Landkreis Lüneburg ist der Bau einer Elbbrücke im Biosphärenreservat Elbtalaue bei Neu Darchau und Darchau umstritten. Die Gemeinde Amt Neuhaus mit 5320 Einwohner:innen, rechtselbisch gelegen und ohne nennenswerte gewerbliche Infrastruktur, erstreckt sich rund 40 Kilometer die Elbe entlang. Stromaufwärts und etwa 30 Kilometer entfernt von Neuhaus wurde im Dezember 1992 bei Dömitz eine neue Elbbrücke im Verlauf der Bundesstraße B191 als Symbol der Einheit für den Verkehr freigegeben. Bis zur nächsten stromabwärts gelegenen Brücke bei Lauenburg sind es von Neuhaus rund 35 km. Folglich sahen Bund und Länder mit Fertigstellung der Dömitzer Brücke seit den 1990er-Jahren keine verkehrspolitisch ableitbare Notwendigkeit für eine weitere Elbbrücke. Sie haben dem Projekt schlichtweg eine Absage erteilt.
Zwei Brücken, zwei Fähren
Zusätzlich gibt es zwischen den beiden Brücken zwei Autofähren: Bei Bleckede ist sie täglich 18 Stunden im Einsatz, zwischen Darchau und Neu Darchau pendelt die Fähre Tanja 16 Stunden täglich. Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung kommt mit neubelebter Einheitseuphorie nun Landrat Böther („Für mich ist die Brücke ein Stück gelebte deutsche Einheit.“) erneut mit den inzwischen aus der Zeit gefallenen Plänen um die Ecke.
Zwischenzeitlich haben junge Menschen in unserem Lande, angefangen von den Schulstreiks, über Massenproteste auf den Straßen und Plätzen, immerhin die real existierende Klimakrise sowie die Notwendigkeit eines nachhaltigen Technologiewandels bis in Landes- und Bundesparlamente und erfolgreich bis vor das Bundesverfassungsgericht gebracht. Selbst der Landkreis Lüneburg will bis 2030 komplett klimaneutral sein. Hingegen betreibt sein Landrat in winkeladvokatischer Schläue die Ausdehnung des motorisierten Individualverkehrs und dessen Lenkung über eine Betonbrücke durch das UNESCO-Biosphärenreservat der heimischen Elbtalaue. Doch dafür bieten die aktuellen Verkehre in der Region um Neu Darchau und im Amt Neuhaus keine Grundlage.
Für Brücke keinen Bedarf
Die Fähre Darchau / Neu Darchau transportiert täglich etwa 700 Fahrzeuge. Davon entfallen 170 auf Auspendler von Neuhaus in das westlich gelegene Lüneburg. In den Zeiträumen 6 bis 9 Uhr sowie 15 bis 19 Uhr ist die Fähre gut ausgelastet. In den übrigen Zeiten fährt sie in der Verlustzone. Einen Bedarf für eine zusätzliche Brücke gibt es nicht. Allerdings soll mit dem Bau der Brücke, so die Befürworter des Vorhabens, der Autoverkehr über die Brücke durch die Elbtalaue auf täglich rund 2500 Fahrzeuge zunehmen. Diese hochgerechnete Prognose ist Voraussetzung für die Behauptung einer verkehrspolitischen Notwendigkeit der Brücke. Andere Pro-Argumente sind leicht zu entkräften: Ein gutes und leistungsstarkes Nahversorgungskrankenhaus in Boizenburg liegt nur rund 25 Kilometer von Neuhaus entfernt. Auch weiterführende Schulen sind rechtselbisch in ungefähr 25 Kilometern Entfernung in Boizenburg und Dömitz vorhanden. Die Hemmnisse für eine freie Wahl des Besuchs dieser weiterführenden Schulen wären durch Vereinbarungen zwischen den betreffenden Landkreisen leicht zu beseitigen.
Nicht „demografiefest”
Weitere Aspekte ergeben sich aus der Potenzialanalyse 2016 für das Amt Neuhaus und den Zahlen aus dem Zensus 2022. Danach schrumpft die Gemeinde Amt Neuhaus im Landkreis Lüneburg relativ am stärksten. Sie wird bis 2035 zwischen 27 und 45 Prozent ihrer Einwohner gegenüber dem Basisjahr 2010 verlieren. Auffällig ist besonders der Bevölkerungsverlust in allen Altersklassen unter 65 Jahren. Diese prognostizierte Entwicklung dürfte auf die aktuelle Pendlerstatistik durchschlagen. So lässt sich aus der Lage des Amtes Neuhaus, östlich der Elbe, gemäß Potenzialanalyse für die Bewohner des Amtes Neuhaus im Vergleich zu anderen Gemeinden des Landkreises eine relative Benachteilung ableiten. Dabei sind die Kosten für die Nutzung der Fähre der wichtigste Aspekt.
Insofern schlägt die Analyse für das Amt Neuhaus eine Optimierung der Fährbetriebe vor. Ein kostenloser Personentransport für Bewohner der elbnahen Dörfer und Gemeinden wäre auf Basis der Analyse in Erwägung zu ziehen. Dieser müsste dann, so die Analyse, mit einem entsprechenden Zuschuss für die Fährbetriebe aus den Haushalten des Landes und des Landkreises ausgeglichen werden. Ohnehin würde eine zehn Minuten schnellere Erreichbarkeit zum Beispiel der Kreisstadt Lüneburg bei angenommener Elbbrücke die Gemeine Amt Neuhaus gemäß der Potenzialanalyse 2016 nicht in die „demografiefeste“ Zone bringen.
Hingegen wären ein enger getakteter und im HVV eingebundener Personennahverkehr mit direkter Busverbindung von Neuhaus nach Lüneburg und zum Fernverkehr (Brahlstorf – Hamburg) ein wichtiger Standortvorteil. Dass Landrat Böther mit dem neuen Antrag für den Bau der Elbbrücke nunmehr einen geplanten Trassenverlauf mit Querung bebauter Umgebung in Katemin vorgelegt hat, provozierte letztlich entschiedenes Handeln der Landrätin von Lüchow-Dannenberg, Dagmar Schulz (parteilos) und des Neu Darchauer Bürgermeisters, Klaus-Peter Dehde (SPD). Sie berufen sich auf den 2009 vereinbarten Brückenvertrag. Dort ist eine Ortsumfahrung Neu Darchaus vereinbart. Diese sei im vorgelegten Antrag nicht geplant. Schulz und Dehde haben daher eine weitere Bearbeitung des Bauvorhabens untersagt.
Mit Entscheidung vom Dezember 2020 des Verwaltungsgerichts Lüneburg muss die Gemeinde Neu
Darchau zwar Voruntersuchungen zur Vorbereitung eines Bauantrags für den Brückenbau auf ihrem Hoheitsgebiet dulden. Allerdings hat das Gericht die Frage, ob die vereinbarte Ortsumfahrung nachgewiesen sei, ausdrücklich offen gelassen. Es erörterte jedoch Gründe, die für eine seitens der Gemeinde Neu Darchau vorgetragene Sichtweise der fehlenden Ortsumfahrung sprechen.
Notfalls per Gericht
Die Bürgerinitiative Ja zur Fähre – Nein zur Brücke begrüßt und unterstützt die Untersagung weiterer Planung. Im Zweifel sollte diese auf der Grundlage des Brückenvertrages und des vorliegenden Urteils auch gerichtlich durchgesetzt werden. So könnte Klarheit hergestellt und der Jahrzehnte andauernde Streit in den Dörfern um Neu Darchau und im Amt Neuhaus befriedet werden. Denn ein überwiegend öffentliches Interesse für den Bau einer Brücke im UNESCO-Biosphärenreservat konnte bis heute nicht nachgewiesen werden.
von Ludger Klus, zuerst erschienen in der Gorleben Rundschau Okt-Dez 2024